Therapien

Bei der Erstuntersuchung der Kinder muss man sich fragen, ob die Funktionseinschränkungen so gravierend sind, dass überhaupt etwas getan werden soll. Bei einigen Kindern sind chirurgische Eingriffe möglich, bei anderen nicht sinnvoll. Doch gibt es neben einem operativen Eingriff viele Behandlungsformen und Unterstützungsleistungen, mit denen ihr euer Kind unterstützen könnt.

Ergotherapie

Während die Physiotherapie bei Menschen mit Hand- und Armfehlbildungen häufig der Vorbeugung von möglichen Fehlhaltungen dient, zielt die Ergotherapie insbesondere darauf ab, die Handlungsfähigkeit im Alltag zu verbessern. Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten helfen zum Beispiel dabei, feinmotorische und graphomotorische Fähigkeiten wie Schneiden und Schreiben zu üben. Sie unterstützen bei der Abstimmung der Koordination von beiden Körperhälften und geben Tipps für den Alltag.

Ergotherapie kann auch die Versorgung mit technischen Hilfsmitteln und Prothesen begleiten. Grundsätzlich sind Ergotherapien vom Kleinkindalter an möglich und können wie Physiotherapien ärztlich verordnet werden. Wann sie sinnvoll sind, hängt immer vom Einzelfall ab. Allgemein kann man sagen: Immer dann, wenn eurem Kind bestimmte Handlungen nicht gelingen und dadurch ein Leidensdruck entsteht, ist es sicherlich sinnvoll die ergotherapeutischen Möglichkeiten auszuloten.

Hilfsmittel

Hilfreicher als Prothesen erweisen sich oft individuelle Silikonhilfen für ganz bestimmte Aufgaben des Alltags. Esshilfen, Schreibhilfen oder beispielsweise Fahrradlenkhilfen werden individuell angepasst. So ist auch das Festhalten eines Tischtennisschlägers oder das Spielen eines Musikinstruments nicht unmöglich. Auch hier sind Orthopädie-Technik-Unternehmen die richtigen Ansprechpartner.

Ob ein Hilfsmittel sinnvoll ist, hängt stark davon ab, ob es eine Fertigkeit ermöglicht, die nicht auch anders erlernt werden kann – zum Beispiel durch gezielte Ergotherapie. Entscheidend dafür, dass ein Kind ein Hilfmittel annimmt und nutzt, ist aber seine Motivation, eine bestimmte Fertigkeit zu erwerben.

Operation

Operationen sind eine Möglichkeit, die sich bei vielen unterschiedlichen Fehlbildungen anbietet. Der Weg zu einer Entscheidung für oder gegen eine mögliche Operation erfordert von allen Beteiligten Mut, Geduld und Sachlichkeit. Wenn operiert wird, dann liegt der Fokus meist auf einer funktionalen Verbesserung für die Patient*innen mit einer Dysmelie an Arm oder Hand. Oft geht es darum, das Greifen zu ermöglichen. Auch rein kosmetische Eingriffe kommen in manchen Fällen in Frage, häufig raten Mediziner*innen aber davon ab.

Gängige Operationen sind die Trennung zusammengewachsener Finger oder eine Zehentransplantation beim Fehlen eines Daumens. Auch können die Mediziner*innen Finger verlagern oder ihre Abstände zueinander verändern. Des Weiteren können Rudimente wie Doppeldaumen oder Fingerknospen entfernt werden.

Ob eine Operation der richtige Schritt ist, muss in Ruhe abgewägt werden. Zu bedenken ist dabei auch, dass mehrfache Krankenhausaufenthalte dem Kind den Eindruck vermitteln können, dass es nicht vollständig ist. Eine gute ärztliche Beratung zielt nicht nur auf das bestmögliche Operationsergebnis ab, sondern bettet mögliche Operationen auch in einen Behandlungsplan ein, der die Betroffenen und deren persönliches Umfeld, die Nachsorge und den weiteren Verlauf im Blick hat.

Es gibt an vielen Kliniken kinderchirurgisches Wissen. In der Vereinsarbeit von ahoi e.V. haben wir sehr gutes medizinisches Know-how u. a. in den Handchirurgischen Kliniken des KKH Wilhelmstift in Hamburg, des Marienstifts in Braunschweig, der Uniklinik RWTH Aachen und der Universitätsmedizin Mannheim wahrgenommen.

Auch wenn jedes Kind und jede Fehlbildung einzigartig ist, kann der Austausch mit anderen Familien zum Beispiel beim Bundestreffen von ahoi e.V. bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Behandlungsstrategie und Operation eine große Unterstützung sein.

Osteopathie

Osteopathie ist eine ausschließlich mit den Händen ausgeführte Behandlungsform, die die Fähigkeit des Körpers zur Selbstregulation nutzt. Sie behandelt nicht allein das Symptom, sondern den Körper als Ganzes. Verspannungen oder Kopfschmerzen, die durch eine schiefe Körperhaltung entstehen, können durch Osteopathie gelöst werden. Hierbei wird die Dysbalance individuell behandelt, um dem Organismus die Möglichkeit zu geben wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Vertrauenswürdige Therapeutinnen und Therapeuten findet man in der Mitgliederliste des Verbands der Osteopathen Deutschland (VOD).Die Wirksamkeit der Osteopathie ist allerdings wissenschaftlich kaum belegt.

Physiotherapie

Physiotherapie unterstützt Kinder dabei ein gutes Gleichgewichtsgefühl zu entwickeln und die Beweglichkeit der betroffenen Muskeln und Sehnen zu verbessern. Gerade während Wachstumsschüben ist es wichtig, mit Übungen möglichen Fehlhaltungen und Verkürzungen entgegenzuwirken. Dabei kann man gar nicht früh genug anfangen.

Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten für zwei Einheiten à 30 Minuten pro Woche. Hierfür muss der Arzt einen „langfristigen Heilmittelbedarf“ feststellen. Das Verfahren wurde in den vergangenen Jahren vereinfacht und standardisiert. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte erläutert es in diesem Dokument: Genehmigung eines langfristigen Heilmittelbedarfs [200kB, PDF]

Unsere Kinder fallen in die Kategorie EX4: „Fehlbildungen der Bewegungsorgane im […] Kindesalter“. Damit gilt ein langfristiger Heilmittelbedarf von vornherein als genehmigt und ein Antrag bei der Krankenkasse entfällt. Der dazugehörige Heilmittelkatalog [725kB, PDF] sieht zweimal in der Woche Krankengymnastik und/oder Manuelle Therapie vor. Das Ziel: Erlernen von Übungen für Zuhause und Anleiten der Eltern. Dafür veranschlagt die Organisation im Regelfall (!) insgesamt bis zu 50 Einheiten à 30 Minuten. 

Darüber hinaus kann der Arzt die Therapie aber als sogenannte Folge-VO beliebig oft verlängern, solange sie medizinisch notwendig ist. Alle zwölf Wochen ist allerdings ein Arztbesuch zur medizinischen Kontrolle und eine erneute Heilmittelverordnung nötig. Dazwischen reicht meistens ein kurzer Anruf beim Arzt mit der Bitte um eine Folge-VO. Ein einzelnes Rezept gilt für zehn Einheiten, entspricht damit also max. fünf Wochen.

Mit diesem Verfahren sind Verschreibungen über Jahre hinweg möglich und unsere Kinder damit bestens versorgt. Manche Ärztinnen und Ärzte sträuben sich allerdings gegen eine so umfangreiche Verschreibung. Doch entgegen der Meinung einiger schlecht informierter Ärzte unterliegt eine solche Langzeitverordnung nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Krankenkassen. Wird der Bedarf vom Arzt oder der Krankenkasse nicht gesehen, muss man argumentieren. Dann ist es sinnvoll, sich den Bedarf bei Physiotherapeuten oder Fachärzten attestieren zu lassen.

Prothesen

Prothesen sind einen Versuch wert, brauchen aber Durchhaltevermögen und den Willen des Kindes. Denn sie sind relativ schwer, werden zumeist mit einem Gummischlauch befestigt, der drückt und unter dem man schwitzt. Ihre Steuerung muss erlernt werden und braucht intensives Training wie das Erlernen eines Musikinstruments. Bei einigen Menschen ist sie der teuerste Staubfänger in der Wohnung, anderen hilft sie enorm im Alltag, beim Hobby oder Sport.

Myoelektrische Prothesen werden mit den Muskeln des verbliebenen Armstumpfes gesteuert. Durch das An- und Entspannen der Beuge- und Streckmuskeln im Unterarm entstehen Muskelsignale. Ein Mikroprozessor im Schaft der Prothese misst die Impulse über Hautelektroden und errechnet daraus ein elektrisches Steuersignal für die Motoren der Prothese, die dann Arm und Hand bewegen.

Viele unserer Mitglieder berichten von einem vertrauensvollen Verhältnis zu Orthopädie-Technikern der Firma Pohlig mit Niederlassungen in ganz Deutschland und guten Erfahrungen mit Produkten von Ottobock.

Interessant ist die Zukunft von Prothesen. Apple, Google und Microsoft haben jeweils eigene Gesundheits- und Medizintechnikbereiche. Zusammen mit etablierten Orthopädie-Technik-Unternehmen und den neuesten Entwicklungen im Bereich der 3D-Drucker ergeben sich spannende Möglichkeiten. Damit würden Cyborgs ihrer SciFi-Fantasie entfliehen und Realität werden. Auch dieses Feld beobachten wir für euch.

Sport und Fitnessstudio

Kinder mit Arm- oder Handfehlbildung nehmen an jeder Sportart teil. Es gibt sogar erfolgreiche Tischtennis- und Handballspieler. Für erwachsene Menschen mit einer Dysmelie kann es sinnvoll sein, die untere Rückenmuskulatur gezielt im Fitnessstudio zu trainieren, um Haltungsschäden zu verringern.