Sieben Stunden Fahrt, das kann ganz schön anstrengend sein! Aber was will man machen, wenn man aus dem letzten bayerischen Eck kommt? Aber es lohnt sich! Jedes Jahr alte Bekannte und auch neue Leute treffen. Alte, Junge, Familien mit kleinen und großen Kindern, mit und ohne Handfehlbildungen. Einige kommen schon seit vielen Jahren immer wieder zum Bundestreffen. So auch wir. Es ist das 14. Mal, dass wir eine so lange Fahrt in Kauf nehmen, nur um in Olpe wieder mit dabei zu sein.

Die erste Frage, die ich und mein Bruder uns stellen: „Sind wir wieder die ersten, so wie letztes Jahr?“ Erst ist keiner zu sehen, als wie die Eingangshalle des Regenbogenlandes betreten. Doch ein Blick auf die Liste sagt uns, dass wir die zweite Familie sind, die angekommen ist. Egal! Kurz ein paar Formalitäten klären, dann gibt’s endlich den Zimmerschlüssel.

Jeder kennt das. Wenn man eine lange Fahrt hinter sich hat, ist es das schönste, wenn man sich erst mal im Zimmer frisch machen und umziehen kann. Schließlich will man auch gut aussehen, wenn die anderen kommen, gerade als Mädchen.

Eine halbe Stunde später sitzen wir, das heißt ich mit meiner Familie und ein paar Anderen, die früher angereist sind, dann auf der Terrasse und warten auf die Nächsten Familien. Kekse stehen in der Mitte auf dem Tisch und man tauscht sich aus, die Mütter über die Kinder, wir Jugendlichen über die Schule. Das ist immer interessant, viele verschiedene Bundesländer und viele verschiedene Schulen.

„Mei, du bist ja auch schon so groß geworden, fast erwachsen!“, sagt Mama zu einem Mädchen, ein, zwei Jahr jünger als ich. Das übliche halt, wenn man sich so lange nicht gesehen hat.

Nach und nach trudeln alle ein, Umarmungen, Wiedersehensfreude, die Terrasse füllt sich. Der Vorstand des Vereins ist bemüht, alle Familien zusammen zu bekommen, damit man die Fotos für die Steckbriefe machen kann. Jede Familie hat einen, auf dem sie sich kurz vorstellt, damit man als Neuling einen ersten Überblick bekommt, über gleichaltrige Kinder zum Beispiel und natürlich auch über das Krankheitsbild des jeweiligen Betroffenen.

Der erste Vorsitzende ruft alle zur Vorstellungsrunde. Die findet oben in der Aula statt. Auch hier, einfach nochmal Kennenlernen, die Vorstandschaft stellt sich vor, dann die anderen Mitglieder. Wir Größeren übernehmen das natürlich selbst. Einige Organisatorische Dinge werden geklärt, dann das wichtigste: ABENDESSEN! Wenn man kein richtiges Mittagessen hatte, ist das – gerade für Leute wie meinen Bruder – so etwas wie ein Lebensretter.

Wo sitzt wer? Und mit wem? In welchem Speisesaal sind wir, 1 oder 2? Die Einteilung nimmt immer das Team vom Regenbogenland vor. Es gibt ein wenig Verwirrung bis jeder an seinem Platz ist. „Was gibt’s den zum Essen?“, fragt mein Bruder. Die Antwort: Bratwürstl. Sehr gut.

Noch besser sind die Gespräche nach dem Essen. Gemütliches Beisammensein, draußen oder drinnen, je nach Wetter, das sich nicht recht entscheiden kann. Während mein Bruder mit den Mädels unterwegs ist, schaue ich mich um, wo ich mich dazusetzen kann. Mal hier ein Gespräch, mal da. Die Themen sind ganz unterschiedlich, nur selten geht es um Behinderung, dazu sind morgen ja noch genug Vorträge. Nein, eher um Fußball und die Weltmeisterschaft oder um Schule und Freizeitaktivitäten der Kinder, je nachdem ob man bei den Vätern dabei ist oder bei den Müttern. Mir ist das eigentlich relativ egal, ich freue mich einfach, dass ich wieder hier bin und wieder Freunde aus den letzten Jahren treffe. Den Vater von Jan beispielsweise, einem großen FC Köln-Fan, oder den kleinen Mio, der mir so ans Herz gewachsen ist. Die jüngeren Kinder müssen langsam ins Bett, ich zum Glück noch nicht. Ich bleibe noch ein bisschen länger. Irgendwann ist dann doch Zeit zum Schlafen, bin auch etwas geschafft von dem Tag.

 

Der nächste Morgen beginnt mit früh aufstehen und der Frage, wer sich ebenfalls zum Frühstück bequemt und wer lieber noch etwas länger schläft. Es sind doch mehr als erwartet.

Danach wieder Treffen in der Aula, Aufteilung in die Gesprächsgruppen für die Eltern und in die Kinderbetreuung für (logischerweise) die Kinder. Aber nur bis zwölf Jahre. Das kommt mir sehr gelegen. Während einige in meinem Alter, darunter auch mein Bruder in die Stadt gehen, bleibe ich da und spiele mit den Jungs Fußball. Herrlich!

Nachmittags sind dann Vorträge von Ärzten, da gehe auch ich hin. Der Arzt hat einen unaussprechlichen Namen, deshalb nennen ihn einfach alle Dr. Marathon. Es ist etwas schwierig, zu folgen, aber dennoch interessant. Wir sind sowieso froh, wenn sich Ärzte bereit erklären, zu uns zu kommen.

Bis zum nächsten Programmpunkt ist noch einige Zeit, die ich mit ein paar Erwachsenen mit Spielen vertreibe. Und dann ist es so weit: Ein besonderer Gast, der Komiker Martin Fromme, trifft ein. Ihm fehlt der linke Unterarm und er hat sich bereit erklärt, zunächst in einem Gesprächskreis sich den Fragen zu stellen und abends eine kleine Vorstellung zu geben. Fast alle wollen in seinen Gesprächskreis, der Raum ist fast zu klein. Es ist spannend, auch mal von jemanden mit der berühmten „Lebenserfahrung“ zu hören, was er schon alles mit seiner Fehlbildung erlebt hat und wie er damit sein Leben meistert. Auch für mich gibt es noch einiges zu erfragen, zum Beispiel das Thema Führerschein, was sind da so die Probleme. Auch natürlich so Fragen, wie geht man mit starrenden Blicken um oder auch mit überhilfsbereiten Menschen. Ist beides ziemlich nervig.

Beim Abendessen wird diesmal gegrillt, eine Tradition beim Bundestreffen. Auch wenn es regnet, aber wir können in die Hütte beim Spielplatz ausweichen. Der Regen macht aber weder den kleinen Kindern, die auf dem Spielplatz ihre größte Freude haben, noch mir etwas aus. Fußball im Regen, was schöneres gibt es nicht! Das Spiel Brasilien gegen Chile lockt dann die meisten wieder rein. Kaum einer ist für Brasilien, es wird gezittert, am Ende sind alle enttäuscht, dass Chile verliert. Die wenigen Anti-Fußballer ärgern sich etwas, dass es nun wegen Verlängerung und Elfmeterschießen so spät ist und keine Zeit ist, die Kinder noch vor Martin Frommes Auftritt ins Bett zu bringen. So kommen auch die Jüngeren mit nach oben zum Zuschauen. Was von dem Programm zu halten ist? Das soll jeder selbst entscheiden. Ob man selbst betroffen ist, so wie ich, spielt dabei sicherlich eine Rolle. Die Frage beschäftigt auch die Runde von Erwachsenen und Jugendlichen, die noch oben bleibt und diskutiert. Schnell wird aber zu anderen Themen übergegangen, Chipstüten machen die Runde und kurz vor Mitternacht begeben sich alle nach unten. Denn ein Mädchen wird 15! Das wird gefeiert mit einem nächtlichen Kuchen und vielen Glückwünschen wie es sich gehört.

 

Der letzte Tag bricht an. Beim Frühstück gibt es nochmal Kuchen und, wie immer Gespräche. Bis es Zeit zur Mitgliederversammlung ist, wo ich dabei bin. Ewige Diskussionen über die neue Internetseite stehen dabei ganz oben. Ich bin froh, dass da endlich was gemacht wird, denn die jetzige Seite kann man (fast) in der Pfeife rauchen.

Ja, und dann steht auch schon das Mittagessen an. Einige haben sich schon vorher verabschiedet. Und bald nach dem Essen fahren weitere. Wieder Umarmungen, Gute-Reise-Wünsche und so weiter. Haufenweise Koffer stehen rum und bald sind nur noch ganz wenige da. Die ersten, die kommen und die letzten, die fahren, so ist es immer bei uns, aber es macht keinem was aus. Schön war es auch dieses Mal und noch kann ich mir nicht vorstellen, dass ich das nächste Bundestreffen verpasse, auch wenn dann das Abitur ansteht. Aber fürs Bundestreffen nehme ich auch sieben Stunden Fahrt in Kauf.

 

Hannah Lotze, 17 Jahre

Ainring