Viele Kinder starten heute mit einem Laufrad in die Fortbewegung auf zwei Rädern. Mit einer Lenkhilfe können das auch die meisten Kinder mit Arm- und Handfehlbildungen – vorausgesetzt die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Leider ist das nicht immer so, wie der Erfahrungsbericht von Familie K. aus Sachsen zeigt.

Anfang März 2018 haben wir für unsere damals eineinhalbjährige Tochter, die ohne ihre linke Hand und leicht verkürztem linken Unterarm auf die Welt kam, ein Rezept für eine Laufradlenkhilfe bekommen. Die empfohlene Orthopädietechnik-Firma hatte gleich Zeit für uns und war guter Dinge. Den Antrag bei der Krankenkasse übernahm sie für uns.

Kostenübernahme abgelehnt

Einen Monat später kam Post von unserer Krankenkasse, der IKK classic: Sie lehnte die Kostenübernahme ab mit der Begründung, Laufrad fahren zähle nicht zu den Grundbedürfnissen eines Kleinkindes, weshalb keine Erstattung der Kosten erfolgen könne. Dagegen legten wir auf Anraten unserer Orthopädietechnik-Firma Widerspruch ein. Einen weiteren Monat später schaltete die IKK den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, um über den Widerspruch entscheiden zu können. Der MDK sollte nun in einem Gutachten klären, ob unsere Tochter eine Lenkhilfe fürs Laufrad benötigt.

Im Oktober erreichte uns die Antwort auf unseren Widerspruch. Darin legte die Krankenkasse  nochmals dar, dass Laufrad-Anpassungen nicht unter die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen fielen. Denn die behindertengerechte Anpassung eines Laufrades sei kein anerkanntes Hilfsmittel der Krankenkasse. Wir wurden aufgefordert, den Widerspruch zurückzunehmen.

Telefonisch teilten wir der IKK mit, am Widerspruch festzuhalten. Die Bearbeiterin erläuterte, dass vor allem das Laufrad das Problem sei. Denn Fahrradfahren sei an sich ein Grundbedürfnis, da es vor allem älteren Kindern helfe, den sozialen Kontakt zu gleichaltrigen herzustellen. Fahrradfahren in Alter von zwei Jahren sei allerdings nicht glaubhaft und üblich.,Der Widerspruch wurde an die Widerspruchstelle der Krankenkasse weitergeleitet, die in einem Widerspruchsausschuss in einer Sitzung von vier Personen nochmals über die Lenkhilfe entschieden hat.

Ende November kam dann die endgültige Ablehnung: Acht Seiten Papier, auf denen unter anderem erläutert wurde, dass das Laufen als eines der Grundbedürfnisse nicht beeinträchtigt sei und unsere Tochter doch statt eines Laufrads das für ihr Alter übliche Dreirad fahren solle. Bis auf ihrer Hand sei sie gesund, weshalb die Lenkhilfe medizinisch nicht erforderlich sei. Im Übrigen solle die Lenkeranpassung dem Erlernen des Fahrradfahrens dienen und nicht dem Behinderungsausgleich.

Gerechtigkeit geht anders

Wir waren schockiert. Schließlich wussten wir aus der ahoi e.V. Diskussionsgruppe auf Facebook, dass unterschiedliche Kassen das Thema ganz unterschiedlich betrachten. Unsere Rundfrage zeigte uns die ganze Bandbreite: Manche hatten keinerlei Probleme, andere steckten mitten im Klageverfahren. Die meisten haben erst nach vielen Telefonaten, sehr viel Druck auf die Krankenkasse oder auch nach persönlicher Vorstellung ein Einlenken erreicht. Doch zum Thema Gerechtigkeit hieß es in dem Ablehnungsbescheid lapidar:

„Ihr Hinweis, dass andere Krankenkassen die Kosten für derartige Leistungen bei gleicher Indikation übernehmen würden, kann nicht zum Erfolg Ihres Widerspruchs führen. Es ist nicht entscheidend, welche Kosten andere Krankenkassen ggf. übernehmen, sondern ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme erfüllt sind.“

Dabei wissen wir sogar von einem Kind im gleichen Alter, dem die gleiche Krankenkasse eine Lenkhilfe gewährt hat!

Negatives Urteil hätte Folgen für alle

Als nächster Schritt blieb uns also auch nur noch eine Klage vor dem Sozialgericht. Die Orthopädietechnik-Firma bot uns an, die Sache von ihrer Patienten-Rechtsschutz-Versicherung prüfen zu lassen. Doch nach deren Recherchen hätte eine Klage nicht ausreichend Erfolgsaussichten und somit würde sie die Kosten einer Klage nicht für uns übernehmen. Auch sei zu bedenken, dass ein negatives Urteil für alle anderen Kinder Folgen hätte. Denn bisher gab es immer nur Einzelfall-Entscheidungen.

Die Krankenkasse zu wechseln war einer der vielen Gedanken der letzten Monate. Wir informierten uns bei der AOK, ob sie bei einem Wechsel dorthin die Kosten für eine Lenkhilfe übernehmen würden. Nach Konsultation der zuständigen Fachabteilung lehnte die AOK ab. Als Begründung hieß es unter anderem, unsere Tochter könne doch einhändig Fahrrad fahren. Absurd, wenn man überlegt, dass jedem Kind, das  Fahrradfahren lernt, gesagt wird: Nimm beide Hände an den Lenker!

Kind freut sich über LenkhilfeUnser Glück ist, dass unser Orthopädietechnik-Unternehmen uns nun angeboten hat, die Kosten vorerst niemanden in Rechnung zu stellen, um unserer Tochter das Laufradfahren wie Gleichaltrigen zu ermöglichen. Das Ziel ist es, durch eine gute Dokumentation genug Material zu sammeln, um der Krankenkasse den positiven Effekt der Lenkhilfe zu zeigen.

Anfang Januar 2019 wurde die Lenkhilfe angefertigt, die unsere Tochter sofort mit Begeisterung angenommen hat. Die Lenkhilfe ist im Übrigen so konzipiert, dass sie auch an ihr Dreirad angebaut werden kann.

 

Was sind Eure Erfahrungen?

Schreibt uns, wie es bei Eurer Krankenkasse mit der Bewilligung von Hilfsmitteln so klappt!